ICH BIN GEIMPFT

 

Heute habe ich ein neues Wort kennengelernt, kein Fremdwort, keinen Anglizismus, sondern eine neue deutsche Wortschöpfung: Impfling. Als Impfling mit der Kennziffer 84ML-DZQF-ZV26 habe ich heute Morgen das Hamburger Corona-Impfzentrum in den Messehallen Schritt für Schritt durchlaufen. Ich habe diese Prozedur ohne Blessuren überstanden, habe bei der Impfung nicht den geringsten Schmerz empfunden und hatte auch danach keinerlei Beschwerden. In den Messehallen war von Hektik und Ängsten wenig zu spüren. Er herrschte in allen Bereichen eine wohltuende, entspannte und beruhigende Atmosphäre. Man hatte nicht das Gefühl, in einem großen Krankenhaus unter lauter Leidenden zu sein. Ich fühlte mich eher an ein Sanatorium oder an einen orientalischen Basar in der Morgenstunde, bevor die großen Geschäfte losgehen, erinnert. Dazu kamen sogar Glücksmomente. Der Medizinmann in Weiß, der mir schmerzlos meine Spritze verabreichte, war ein junger Arzt aus Syrien, der 2015 nach Deutschland geflohen war. Er erzählte mir, dass er die Messehallen schon bei seiner Ankunft von ihrer besten Seite kennengelernt hat, als an derselben Stelle, an der er jetzt impft, ein Wilkommenszentrum für die mit der Bahn ankommenden Flüchtlingsströme eingerichtet war. Eine türkische Schwester mit einem bunten Kopftuch begleitete mich auf dem Weg in den Ruheraum. Dort war gute Laune angesagt, man hörte manchmal sogar ein befreites Lachen. Allen war die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Auch als Erkennungs-zeichen nahm meine Gebetskette in meine Hände. Ich zog einige staunende Blicke auf mich, und mehrmals bekam ich ein Assalamalaikum zugeflüstert. Zum Abschied wurde mir von einem Bruder am Sicherheitscheck sogar noch ein Glas Tee gereicht. Mit dem guten Gefühl, unter der Obhut muslimischer Glaubensgeschwister gelandet zu sein, habe ich mich auf dem Nachhauseweg gemacht. Ich bin geimpft – geimpft gegen Corona und gegen die nächsten Anfälle der Islamfeindlichkeit. Im Hamburger Impfzentrum haben sich meine Schwestern und Brüder als Champions der Nächstenliebe gezeigt. Als Helfer in der Not, als Wohltäter, als Ärzte, Sanitäter oder Krankenschwestern. Viele von ihnen haben sich freiwillig gemeldet, manche arbeiten in zwei Schichten und auch übers Wochenende. Ihr Anteil am Gelingen des Impfprogramms ist – alhamduillah – unübersehbar.

 

 

PETER SCHÜTT