Mahnruf eines altgedienten Pazifisten: Keine neue Waffen in Kriegsgebiete

Pardon.

 

Ich bin ein Kriegskind. Ich wurde drei Monate nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geboren und erlebte als Fünfjähriger, wie der Krieg, ehe er zu Ende war, auch mein Heimatdorf an der Niederelbe mit Angst und Schrecken überrollte. Diese frühkindlichen Kriegserinnerungen sind der Hauptgrund dafür, dass mich das gegenwärtige Trommelfeuer aus fast allen Medien bis ins Mark erschüttert. Als altgedienter Pazifist zerbreche ich mir Tag und Nacht den Kopf darüber, welche Wege es geben könnte, um aus dem Teufelskreis ständig neuer Waffenlieferungen an die Fronten in der Ukraine, in Gaza und im Libanon auszusteigen.

 

Angestiftet von unserem Dorfrebell Peter Rühmkorf, der zehn Jahre älter als ich war, habe ich noch in meiner Schulzeit begonnen, die “Ohne michel”, die Gegner der deutschen Wiederbewaffnung, um mich zu sammeln. In meiner Studienjahren war ich Mitbegründer der “Hilfsaktion Vietnam”, die vor allem Spenden und Medikamente gesammelt hat, und lag im ständigen Streit mit Ulrike Meinhof, die “Waffen für den Vietcong” forderte. Als Ende Januar l973 endlich ein Waffenstillstand vereinbart wurde, bin ich mit der ersten westdeutschen Delegation auf abenteuerlichen Wegen nach Hanoi gereist und habe über meine Eindrücke und Begegnungen mein erstes richtiges Buch veröffentlicht. “Vietnam30 Tage danach”.

 

In den Achtziger Jahren war ich Sprecher des “Komitees gegen den Golfkrieg” und habe dort vor allem mit grünen und linken Pazifisten zusammengearbeitet. Mit einer Menschenkette aus mehr als tausend

Schulkindern haben wir in Bonn das iranische mit dem irakischen Konsulat verbunden und erreicht, dass BRD und DDR ihre Waffenlieferungen an die jeweiligen Kriegsparteien schrittweise gestoppt haben. Ich bin in den Iran gereist, um mir ein eigenes Bild von den Verwüstungen zu machen, und habe fassungslos am “Blutbrunnen” auf dem Teheraner Friedhof gestanden. Darüber habe ich in meiner Reportagensammlung “Wenn fern hinter der Türkei die Völker aufeinanderschlagen”,frei nach Goethe, berichtet.

 

Die Achtzigerjahre waren geprägt von der Friedensbewegung. Zu meinen engsten Friedensweggefährten wurden der koptische Theologe und Universalgelehrte Karam Khella und mein aus Pakistan stammender geistlicher Mentor Imam Mehdi Razvi, der in der Blauen Moschee an der Alster Muslime, Christen, Juden und auch Nichtgläubige zum interreligiösen und interkultuellen Dialog zusammenführte. Ich selber habe mich an der Vorbereitung und Durchführung des Auftaktfestivals der “Künstler für den Frieden” im Hamburger St. Pauli-Stadion beteiligt, mit Teilnehmern aus beiden deutschen Staaten und Weltstars wie Angela Davis und Harry Belafonte aus den USA und Miriam Mackeba aus Südafrika, In den nachfolgenden Jahren war ich zu Gast bei enthusiatischen Friedensfeiern in Helsinki, Kopenhagen und Amsterdam. Im August l985 war ich eingeladen, als Michael Gorbatschow im Moskauer Stadion der Weltjugend zum ersten Mal seine wichtigsten Ziele vor der Weltöffentlichkeit verkündigte. Damals ging es noch nicht um Glasnost und Perestroika, sondern zuallerst um den Weltfrieden, um Friedensverhandlungen mit den Westmächten, um die Kürzung der Militärausgaben um die Hälfte und um den Abzug der Sowjettruppen aus Afghanistan. Nicht zu vergessen: Gorbatschows Verzicht auf militärisches Eingreifen hat den Weg frei gemacht für die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands.

 

Und jetzt?

 

Wo ist unsere Friedensbewegung seligen Angedenkens geblieben? Als altgedienter Friedensapostel bisweilen mitleidig belächelt, stehe ich da mit erhobenen leeren Händen. Mit Verbitterung verfolge ich, wie ausgerechnet die Pioniere der pazifistischen Massenbewegungen, die Grünen, immer neue Waffenlieferungen in beide Kriegsgebiete, in die Ukraine und in Gaza, befürworten oder vorantreiben. “Frieden schaffen ohne Waffen”, das war für Jahrzehnte ihre programmatische Kernaussage. Wollen sie jetzt Frieden schaffen mit immer mehr Waffen?

 

Nein, sage ich, das kann nicht sein.Als pazifistisches Urgestein bleibe ich unbelehrbar. Ich bete, bete im stillen Kämmerlein, bete mein Freitagsgebet gegenwärtig sogar zusammen mit Hunderten gläubigen Geschwistern auf der Straße, weil uns die Innenministerin derzeit den Zugang zu unserer Moschee polizeilich abgeriegelt hat. Aber ich möchte mehr tun und politisch etwas bewirken. Also fordere ich unseren stand- und charakterfesten Kanzler Scholz auf, der seine politische Karriere immerhin als streitbarer Wehrdienstverweigerer begonnen hat: Hören Sie bitte endlich auf, immer neue, immer stärkere, immer gefährlichere Waffen an die Kriegsfronten in der Ukraine und in Gaza zu liefern. An Waffen mangelt es dort nicht, wohl aber am Friedenswillen. Alle Parteien setzen auf Sieg, und das bedeutet nichts anderes als Krieg!

 

Stoppen Sie weitere Waffenlieferungen! Vervielfachen Sie stattdessen die humanitäre Hilfe! Helfen Sie den ungezählten Kriegsopfern, namentlich den Kindern! Das wäre auch eine sinnvolle Aufgabe für unsere Bundeswehr: mit ihren Transportkapazitäten, mit ihren Feldlazaretten, mit ihren am Bundeswehrkrankenhaus in meiner Hamburger Nähe ausgebildeten Ärzten und Sanitätern könnten unsere Soldaten helfen, das Leid der Kriegsopfer zu lindern.

 

 

 

PETER SCHÜTT